Traditionelle Bewässerung in Europa als Kulturerbe

Inventarisierung traditioneller Bewässerungssysteme

Die traditionellen Bewässerungssysteme in Europa stehen unter hohem Auflassungsdruck und verschwinden fast unmerklich aus Agrarwirtschaft, Landschaft und Kulturbewusstsein. Ziel der Arbeiten von Christian Leibundgut und Ingeborg Vonderstrass (2016) war deshalb eine Bestandsaufnahme solcher Systeme zu erstellen und alle noch vorhandenen oder am Standort in Quellen oder Relikten nachweisbaren Vorkommen in einer Gesamtübersicht zu inventarisieren.

In der umfassenden Dokumentation wurden 130 Bewässerungslandschaften in Europa dokumentiert (Stand 2015), die repräsentativ und exemplarisch für eine europäische Agrarkultur stehen. Mit der Zusammenschau über ganz Europa zeigt sich, dass die alte Bewässerungskultur eine gemeinsame Kultur und Wirtschaftstradition war, die in aller Vielgestaltigkeit über Zeiten und Räume hinweg die Menschen in Europa miteinander verband. Sie standen vor vergleichbaren Herausforderungen und fanden vergleichbare, aber sehr sophistisch angepasste Lösungen.

Inventar; Traditionelle Bewässerungslandschaften; 130 Standorte
Inventarisierung traditioneller Bewässerungslandschaften (Leibundgut und Vonderstrass, 2016)

 

Im Inventar wurden drei Kategorien von Bewässerungslandschaften aufgenommen:

Vorkommen aktuell/rezent erhalten und/oder reaktiviert

Die Vorkommen sind heute noch erhalten und in Betrieb, einzelne Flächen werden aktiv nach traditionellen Rieselverfahren bewässert. Dazu zählen Vorkommen, die sich bis in die Gegenwart als landwirtschaftlich genutzte Standorte der Rieselbewässerung erhalten konnten, und Vorkommen, die in jüngerer Zeit restauriert und reaktiviert worden sind mit zum Teil differenzierten Funktionsausrichtungen.

Vorkommen erhalten in Kulturlandschaftsrelikten

Die Vorkommen sind als Bewässerungssysteme und Rieselflächen zwar aufgegeben worden, aber in der Kulturlandschaft haben sich Relikte und Spuren der traditionellen Bewässerung bis heute erhalten – wie zum Beispiel Mikrorelief, Wasserkanäle, Grabennetze, agrartechnische Einrichtungen.

Vorkommen nicht erhalten, aber historisch belegt

Die Vorkommen sind in historischen Quellen und Dokumenten belegt und/oder in der Literatur nachweislich behandelt. Betrieb und Kulturrelikte sind zwar aufgelassen und aus dem Landschaftsbild verschwunden, aber die Quellenrecherche erlaubt eine Rekonstruktion historischer Standorte und den eindeutigen Nachweis von traditioneller Bewässerung in früheren Zeiten.

Eine Inventarisierung der historischen Vorkommen, von denen die meisten nur noch in Dokumenten zitiert oder in der Fachliteratur angesprochen sind, ist eine Aufgabe, die in wenigen Jahren für einen Raum wie Europa weder vollständig noch flächendeckend gelöst werden kann. Noch schwieriger ist die Aufnahme der Bewässerungssysteme im Gelände. Dieser Arbeitsschritt konnte bisher nur punktuell für wichtigste Vorkommen durchgeführt werden. Hier werden in Zukunft neue Techniken wie Satellitenauswertungen und Luftaufnahmen mittels Drohnen einen weiteren Informationsschub bereitstellen können. Es wird also noch sehr viel Arbeit zu leisten sein um eine vollständige Übersicht abbilden zu können.